FÄRBEN, FILM UND DIE FASZINATION DER BLUMEN AUS KYOTO: ENUNDO – Circles of Motion

Beim Betreten der Räumlichkeiten der Tenri Japanisch-Deutschen Kulturwerkstatt, scheinen die Grenzen der uns umgebenden Wände nahezu zu verschwinden. Inmitten der Ausstellung Färben, Film und die Faszination der Blumen aus Kyoto präsentiert sich ein eigener Kosmos aus naturgebundenen Eindrücken. Der Geruch feinster Seide, duftender Blumen, Pflanzen und frischen Holzes transportiert uns sinnlich ein Stück weiter nach Kyoto: Der Stadt, aus der der Web- und Färbkünstler Akihiko IZUKURA stammt und arbeitete, bis er zuletzt wider Erwarten im Sommer 2021 seinen Ruhestand verkündete. Nun gestaltet Remnant & Co. unter der Leitung von Toyoko MOTOJIMA und Mika ICHIKAWA weiterhin zahlreiche Ausstellungen und Aktivitäten rund um Izukuras Nachlass und Philosophie und bietet eine Plattform, um Künstler miteinander zu verbinden.

Diese Philosophie der Vereinigung spiegelt sich in dem Ausdruck ENUNDO wider, welcher eine von Izukura entdeckte Kreisbewegung beim Spinnen der Seidenraupen ausdrückt. Doch birgt dieser zugleich eine tiefere Bedeutung, indem er ebenso den natürlichen Zusammenschluss von allem Lebendigen oder einen kreisenden Prozess von Selbsterhaltung und dem Fluss der Natur in sich zusammenfasst. So beschäftigte sich Izukura unter anderem in zahlreichen Reisen um den Kontinent und in der Berührung mit unterschiedlichen Kulturen mit der Frage, wie Mensch, Natur und Textilien, Träger und Getragenes miteinander zusammenhängen. Diesen Überlegungen wurde mit der Installations- und Textilkunst Izukuras, einer Filmvorführung zu seiner Philosophie und einer außergewöhnlichen Ikebana Live-Performance am vergangenen Wochenende nachgegangen.

c: Motion Gallery, Kazuki Fujimoto

So war sein Atelier stets ein Raum für Begegnungen von Menschen, die sich mit sich selbst ein Stück weiter verbinden wollten und Momente und Inspiration für eine entschleunigte und naturverbundene Lebensgestaltung suchten, wie Regisseur Kazuki FUJIMOTO (Mont Film) des gleichnamigen Films „ENUNDO – Circles of Motion“ (2020) und die Leiterinnen von Remnant & Co. in einem Panel nach dem Filmscreening am Sonntag erzählten. In einer auditiven und visuellen Form kontemplativer Unmittelbarkeit lässt uns der Film in die Kreationsmöglichkeiten der Natur eintauchen und erfahren, wie das Licht der Sonne und die Pigmente der Pflanzen als Farbstoffe für die von Seidenraupen kreierten Textilien dienen. Dabei wird das „Zero Waste Prinzip“ ersichtlich, bei dem nichts an Material als minderwertig, unperfekt oder unverwertbar gilt; denn nahezu alle pflanzlichen Elemente werden für Izukuras Stoffe verwendet. So entstehen nach dem Zufallsprinzip der Natur, in Abgrenzung zu konventionellen, exakt strukturierten Herstellungsweisen, Textilkreationen im Einklang mit dem Leben selbst: „Izukura praktizierte „sustainability“ in der Textilbranche, lange bevor es zum Mainstream wurde. […] Alle Farben, die von der Natur hervorgebracht werden, sind für ihn schön.“ Vor allem zeigt der Film, wie eine schonende Form der Seidenherstellung geschaffen wurde, die ohne die Tötung der Seidenraupen auskommt, jedoch, um für die Modebranche funktionalisiert zu werden, noch weiterer Entwicklung bedarf. 10.000 Seidenraupen spinnen in der kreisförmigen Bewegung enundo an einem riesigen Seidenball, der nun majestätisch über unseren Köpfen schwebt und den Ausstellungsraum der Tenri Kulturwerkstatt schmückt. Regisseur Fujimoto hofft durch diese dokumentarische Reminiszenz an Izukuras Werk, viele Menschen positiv und nachhaltig beeinflussen zu können: „Menschen verbinden sich miteinander, so wie ich durch Izukura-san beeinflusst wurde, und diese Menschen könnten wiederum von der Schönheit und Vergänglichkeit der Natur – Wind, Bäume, Feuer, Berge, Wasser – beeinflusst werden und Interesse entwickeln.“ Nicht nur durch die Ausstellung, sondern auch in dem dieses bunte Programm vervollständigenden Kurs zur Seidenherstellung, konnte ein Teil dieser Schönheit in die Kulturwerkstatt transportiert und erfahren werden.

c: Motion Gallery, Kazuki Fujimoto

Auch Ikebana-Künstler Ryota HAGIWARA ließ sich von der Philosophie und Energie Izukuras begeistern und präsentierte im Rahmen der Ausstellung eine energische und von den Bewegungen von Licht und Schatten umrahmte Ikebana Performance mit melodischer Untermalung am Klavier von Heike Beckmann. Der in der Modebranche Wurzeln habende Designer kreiert unter anderem für zahlreiche Modenschauen und Ateliers in Tokio ästhetisch außergewöhnliche und lebendige Blumenarrangements, die im Einklang mit der Technik der traditionellen japanischen Sogetsu-Schule für Ikebana stehen, an der er seinen Meistertitel erwarb. Auch hier werden die buddhistisch geprägte japanische Naturverbundenheit und eine spirituelle Ausdrucksform erfahrbar. So möchte der Künstler die Energie und das Sein der Blumen hinter ihrer äußeren Erscheinungsform hervorbringen, beziehungsweise ihnen vielmehr Raum geben sich zu entfalten. Im Ikebana wird dem Leerraum zwischen den Pflanzen demnach ein genauso großer Stellenwert beigemessen wie der natürlichen dynamischen Form der Blumen und Sträucher. Raffiniert und schwerelos wie die Schneeflocken selbst lässt Hagiwara Izukuras Seidenbahnen als Symbol einer Schneelandschaft aufscheinen, um eine winterliche Komposition zum Ende seiner von den Jahreszeiten inspirierten Ikebana-Performance aufleben zu lassen. Hierbei laden uns diese vielfältigen ästhetischen Ausdrucksformen dazu ein, uns selbst, unsere Stellung in der Welt und unser Zusammenleben, sei es mit Menschen, Tieren oder der Natur, neu- oder wiederzuentdecken.

(Färben, Film und die Faszination der Blumen aus Kyoto fand vom 20. – 24. Oktober 2023 in der Tenri Japanisch-Deutschen Kulturwerkstatt e.V. statt.)

Manuela Grati

Englische Version/ english version:

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