Fotografische Reminiszenz an »Begegnungen«

Ursprünglich nahmen wir die Welt nur über unsere (Bild-)Imagination wahr. Dieses kreisende Weltverständnis wurde mit der Zeit durch die textuelle Ebene erweitert, sodass wir lernten Texte in Bilder zu übersetzen. Wird unsere Imagination geweckt, ist Verstehen um ein Vielfaches leichter und Wissen zugänglicher. Bilder sind somit eine der (emotional) unmittelbarsten Formen der Begegnung.

Der Überbegriff „Begegnungen“ ist von Udo SLAWICZEK vielleicht so treffend gewählt worden, wie noch nie. Haben wir in den letzten Jahren nicht alle durch den Umstand, dass Begegnungen alles andere als möglich waren, zum Teil schmerzlich erfahren müssen, wie dieses sonst für so selbstverständlich geglaubte Wort eine neue Aufwertung erlebte und sich Perspektiven darauf somit plötzlich verschoben?
Begegnungen wurden bei Slawiczek in dieser Sammlungspräsentation, die einen Auszug aus seinem Schaffen der letzten 50 Jahre darstellte, schon allein durch das fotografische Medium an sich repräsentiert: denn Fotografien erlauben es uns, über alle Grenzen hinweg, neue Orte, Personen, Eindrücke und Stimmungen zu erfahren. Sie sind Bindeglied zwischen Welten und kreieren raum- und zeitunabhängige Begegnungen. Dabei lassen sie Zeit einerseits bedeutungslos und andererseits umso bedeutungsvoller erscheinen.
Begegnungen wurden in dieser Ausstellung auf unterschiedlichste Weise erfahrbar gemacht und lassen die gängigen Assoziationen dieses Begriffs unscharf werden. Auf ästhetische Weise wird Raum für neue Verknüpfungen und Sehgewohnheiten geschaffen, denn nicht nur zwischen Menschen sind Begegnungen möglich. Vielmehr laden die dargestellten Motive dazu ein, auch beispielsweise Lichter, Naturschauspiele und Atmosphären in dieser Hinsicht zu erfassen. Jede bewusste Wahrnehmung ist eine Form der Begegnung. Auf welche Weise treffen beispielsweise Land und Meer, Licht und Schatten aufeinander? Wie begegnen wir Stimmungen und Emotionen und wodurch werden diese geweckt? Konkret zeigen Slawiczeks Motive unter anderem etwa die Sicht auf offene Fenster und Türen, Durchgänge, Möglichkeiten zum Verweilen oder aber das Aufeinandertreffen von verschiedenen Naturerscheinungen und Kulturen sowie seine Begegnungen mit verschiedenen Personen während dieser Zeitspanne von circa 50 Jahren. Mal in der Stille der Natur, mal bei energischen Konzerten. Die Vielschichtigkeit von zwischenmenschlichen und abstrakteren Formen der Begegnung wird in den Fotografien besonders ersichtlich.
Die japanische Kultur bietet hierzu vielfältige ästhetische Möglichkeiten: sei es im Ikebana oder der Teezeremonie. Hierbei geht es vielmehr darum, sich selbst – seiner Essenz – in Stille zu begegnen. Grenzen zwischen Natur und Mensch verschwimmen. Auf welche Art und Weise gehen wir mit uns selbst um? Ruhe, Achtsamkeit und Selbstreflexion dienen als Begleiter einer harmonischen Verbindung mit uns selbst, indem wir es uns erlauben, vom Äußeren etwas Abstand zu nehmen und nach Innen zu schauen. Behalten wir sowohl mit uns als auch anderen diesen frischen und interessierten Blick bei, als wenn man zum ersten Mal eine Fotografie betrachten und jedes Detail zu erspähen versuchen würde. Ohne dabei zu vergessen, dass nicht bloß das visuell Sicht- und Fassbare, sondern auch all die hintergründigen Erfahrungen und Geschichten, die sich in das Bild einschreiben und ihm einen distinktiven Charakter verleihen, dazugehören. Oder aber wir können, wie in der Lehre des Zen, das Wagnis der direkten Erfahrung eingehen und uns ohne kontextuelle und gedanklich-interpretative Zusätze der Unmittelbarkeit des Gesehenen hingeben.
Vielleicht entstand durch die Kuration zudem auch eine neue oder andere Begegnung des Künstlers mit seinem Werk.

c: Udo Slawiczek
c: Udo Slawiczek

Manuela Grati

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